FUNAMBOLO FUNAMBOLO



Emilia Scharfe, Funambolo

Eine ausladende, riesige Platane, gewachsen in einem kleinen Innenhof des Gebäudes, das die Galerie CareOf beherbergt; vital und stark in ihrer Erscheinung, aber auch harmonisch; der Wuchs großartig, mit einem kräftigen Stamm und weit gestreckten Ästen; die Rinde lebendig durch die Bewegung und Expressivität ihrer Färbung: Emilia Scharfe wollte diesen Baum mit einer beschützenden, bejahenden Geste umfassen; sie wollte ihn umarmen, ihn sich zu Eigen machen. Aus dieser Vision entstand ein Projekt, das zu einer arbeitsintensiven Herausforderung wurde. Zweitausend Meter Kokosfaserstrick verflechtend, hat die Künstlerin den Baum mit einer speziell dafür entworfenen netzartigen Struktur umhüllt, einer Art zweiter Haut.
Das Material, das sie für das Baumkleid verwendete, ist organisch und faserig, die Farbe warm und natürlich. Als Technik hat sie sich der alten Kunst des Häkelns bedient: eine typisch weibliche Tätigkeit, traditionell und einfach; eine minuziöse Handarbeit, die Geschick, Aufmerksamkeit und Konzentration erfordert. Alle diese Aspekte finden sich auch in der Häkeltechnik des Projekts von Emilia Scharfe wieder, nur dass hier erschwerend hinzu kam, dass nicht mit dünnem Garn, sondern mit Kokosfaserstrick, wie er gewöhnlich im Landschaftsbau verwendet wird, und nicht im Mikromaßstab einer in häuslicher Klausur angefertigten Handarbeit, sondern im Makromaßstab eines Werks mit Außenraumdimensionen gearbeitet wurde.
Die Arbeit nahm nur langsam Form an. Das dichte Maschennetz, das Emilia Scharfe um den Baum häkelte, bedeckte den Stamm und die Äste schließlich bis zu einer Höhe von mehreren Metern. Tag für Tag, immer in engem Kontakt mit dem Baum, hat die Künstlerin, den sinnlichen Formen des Baumes folgend, den Strick verknüpft. Um dem Baum diese zweite Haut zu geben, musste sie sich mit ihm auseinandersetzen, seinen Linien folgen, ihn erkunden, alle seine Unebenheiten, seine Beschaffenheit, seine Knoten und Kurven kennen. Der Schaffensprozess war beschwerlich und lang, aber auch voller Poesie: Eine tiefe Beziehung entstand zwischen ihr und dem Baum. Ein Prozess, der als solcher genauso wichtig war, wie das letztendlich entstandene Werk.
Das Ergebnis ist ein liebkosendes, sich an die Formen des Baumes anschmiegendes Gewand, ein schützender Panzer, eine fesselnde Umklammerung, eine nötigende Zwangsjacke.
Die Verwendung von Techniken wie Häkeln und Nähen, was im Werk von Emilia Scharfe nicht neu ist, kann in diesem Fall als Darstellungsmittel für das langsame aber konstante Wachsen des Baumes verstanden werden, und in einem weitläufigeren Sinn für die Langsamkeit, mit der Naturprozesse und gestalterische, kognitive und relationale Prozesse ablaufen. Aber auch als Metapher für die Verstricktheit unterschiedlicher Reiche der Natur – dem des Menschen und dem der Pflanzen.
Das kreisende Umhäkeln des Baums mit dem Strick, Maschenring um Maschenring, symbolisiert auch die konzentrische Qualität der am Stamm entstehenden Jahresringe, die das Alter des Baumes anzeigen.
Das Werk ist seiner Natur nach vergänglich. Mit natürlichen Materialien realisiert und den Witterungseinflüssen überlassen, ist es dazu bestimmt langsam zu verrotten, bis es schließlich nicht mehr da sein wird. So trägt es in sich selbst die Vergänglichkeit des Lebens.
In ein Gewand gesteckt, gefesselt, aber nicht bezähmt, wird der Baum sein Wachstum fortsetzen. Und diese zweite Haut, in die er eingepackt wurde, wird früher oder später zu eng werden, und er wird dann gegen sie ankämpfen. Das Wissen um diesen provisorischen Charakter des Zustands der Anmut und um die Zugkräfte, die sich entwickeln werden, vermittelt ein vages Gefühl der Spannung - das gleiche, das viele der Werke von Emilia Scharfe kennzeichnet: weiche Objekte, aber irgendwie grausam; Gewänder zum Anziehen und doch auch Fallen, die zu Käfigen werden und der Freiheit berauben.
Funambolo ist lebendig und statisch, mimetisch und bildkräftig, monumental, aber fern von jeder Rhetorik.

Gabi Scardi


Emilia Scharfe, Funambolo

A large, very tall sycamore tree grows in a small courtyard of the building where the Careof art gallery is located. The tree’s presence is powerful, vital, yet harmonious; its architecture is magnificent, its trunk grand, its branches taut, and its bark enlivened by expressive, mobile coloring. Emilia Scharfe wanted to gird this tree with an assertive, protective gesture; she wanted to embrace it, make it her own. A project that became a laborious undertaking came out of this happy vision of hers. Weaving 2000 meters of coconut fiber, she wrapped the tree in a specially designed woven structure, like a second skin.
The material she used to clothe the tree is organic and fibrous with a warm, natural color. Her chosen technique was the old-fashioned craft of crochet, a classic women’s activity, traditional, simple, requiring meticulous manual work, deft, patient movements, attention, concentration. These qualities of crochet are all maintained in Scharfe’s project, with the added facets of the extra effort of going from thin yarn to coconut fiber, more commonly used in farming, and from the minute scale of work in the confines of the home to the outsized scale of a project with landscape proportions.
The work proceeded slowly. The dense weave that Scharfe made wrapped the trunk and branches up to several meters high. The artist worked in close contact with the tree, working day after day, and knotted the fiber following its sensuous form. Covering the tree meant coming into accord with it, traveling and exploring it, getting to know its irregularities, its physical form, discovering its knots and curves. The process was laborious and it was poetic, allowing the relationship with the tree to express itself in all its fullness. The slow process was as important in and of itself as the ultimate result of an outfit that caresses and follows the tree’s forms, a protective shell, a grasp that binds, a straight jacket that constricts.
The use of weaving and stitching, which Scharfe has adopted in earlier works, can be seen here as transposing the slow yet constant growth of the tree, and, more in general, the slowness of nature and the processes of learning, understanding and relating. It can also be seen as a metaphor
of the intersection of different realms of nature: human and plant.
Moving around the tree to cover it with the rope, ring after ring, also expresses the concentric quality of the rings that make up the trunk as they grow and show its age.
The work is temporary in nature, made of organic material, which left to the elements, will deteriorate until it is gone, taking on the temporality that is part of life.
Clothed, bound, but not tamed, the tree will continue to grow. Its second bark wrapped around it will eventually become too tight. This will start a battle. The awareness of the temporary nature of the state of grace and the traction that will be created elicits a vague sense of tension, the same feeling that informs many of Scharfe’s works; objects that are soft, yet somehow cruel: garments to wear or traps that cage and constrict.
Funambolo is alive yet static, mimetic yet sculptural, monumental yet a stranger to any rhetoric.

Gabi Scardi